Wolfram Kastner im Interview: Folter, Mord und Raub im Namen der Kirche

Wolfram Kastner im Gespräch mit Elias Rubenstein über Verfolgung von religiösen Minderheiten, Freiheit der Weltanschauung, Kirchenaustritt, Politik und Kirche, Vatikan, Folter und Mord von Mitgliedern der sogenannten Hexensekte durch die Kirche, Kirchenkritik, Historische Verantwortung in Bezug des Sektenbegriffs, staatliche Förderung der katholischen und evangelischen Kirche, Kirchensteuer.

Gesamtes Interview mit Wolfram Kastner: Folter, Mord und Raub im Namen der Kirche.

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Zusammenfassung des Interviews:

Rubenstein: Ihre Kunst regt zum Nachdenken und Diskutieren an. Aktionismus bewirkt auch oftmals Widerspruch und kann zu Verboten und Strafanzeigen führen. Sind Sie ein Gesellschaftskritiker, der das Medium Kunst zur Aufklärung verwendet?

Kastner: Als Künstler schaue ich genau hin und sehe Dinge, die mich irritieren und provozieren, weil sie unerträglich sind und so nicht bleiben können. Da kann Kunst etwas sichtbar machen, was man sonst nicht sieht – auch öffentliche Anregungen geben um darüber nachzudenken. Das ist eine spezielle Möglichkeit der Bildenden Kunst, Bilder in die Öffentlichkeit zu setzen, die dann auch anregend sind und natürlich unterschiedliche Reaktionen hervorrufen.

Rubenstein: Gibt es ihrer Meinung nach eine Verbindung zwischen den christlichen Großkirchen und der Verfolgung von religiösen Minderheiten bzw. Andersdenkenden?

Kastner: Die Geschichte der sogenannten christlichen Kirchen ist voller Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wenn man zum Beispiel an die Verfolgung von Menschen in der Neuzeit im 17. Jahrhundert denkt, als sogenannte Mitglieder der Hexensekten systematisch ausgerottet wurden, da sie vielleicht ein bisschen über den strengen Glaubenskodex hinausdachten und vielleicht nicht ganz so folgsam waren, wie das die machthungrigen Kirchen wollten. Das geht bis in die jüngste Zeit, wenn man sich zum Beispiel anschaut, wie sich die Kirchen mit den Nazis arrangierten und Mitglieder der Zeugen Jehovas systematisch auslieferten.

Rubenstein: Inwieweit finden Ihrer Meinung nach Mord, Folter oder Rufmord und Diffamierung aufgrund der Weltanschauung in der Gegenwart statt?

Kastner: Vielleicht nicht mehr so offensichtlich wie dies in der Vergangenheit geschehen ist. Ich drehe die Hand nicht um zwischen den Glaubensgemeinschaften, die von den Großkirchen heute als Sekten ausgegrenzt und mit staatlicher Hilfe verfolgt werden. Was sie machen unterscheidet sich nicht so sehr von dem was die Kirchen machen.

Rubenstein: Politik und Kirche sind in vielen Staaten eng verbunden – ebenso auch in Deutschland. Ist dies ihrer Ansicht nach noch zeitgemäß oder eher ein von der Bevölkerung geduldeter Skandal?

Kastner: Es ist ein Skandal, weil das Konkordat von 1933, das die Nazis mit dem Vatikan geschlossen haben, noch heute gültig ist. Die Trennung von Kirche und Staat, die in einer modernen Demokratie selbstverständlich wäre, ist bis heute nicht erfolgt. Wir haben nach wie vor die Steuereintreibung und Datenerhebung. Auch ich als Glaubensloser muss mit meinen Steuerzahlungen für die Gehälter von Bischöfen, Religionsunterricht, also die systematische Verdummung von Menschen, Kreuze in Gerichtssälen und Schulen usw. aufkommen. Das ist ein unerträglicher Zustand, ein Skandal, der längst behoben gehört.

Rubenstein: Waren Sie Mitglied einer Religionsgemeinschaft?

Kastner: Das lässt sich kaum vermeiden. Als Kind wird man von den Eltern zwangsläufig hineingeschickt. Ich habe dann erlebt wie das stattfand. Ich denke mir manchmal, wie kann man im 21. Jahrhundert einen solchen Unfug zur Denkgrundlage machen?

Rubenstein: Aus welchem Grund sind Sie aus der Kirche ausgetreten?

Kastner: Für mich war das nicht mehr mit meiner freiheitlichen Denkweise vereinbar, was da einem aufoktroyiert wird. Was man da glauben sollte, war einfach so absurd, dass man mit ein bisschen gesundem Menschenverstand starke Zweifel daran bekommt, und die Intransigenz, die Beharrlichkeit dieser Vertreter der Glaubensgemeinschaft haben mich so gestört, dass ich dem nicht mehr angehören wollte.

Rubenstein: Oftmals werden kleinere Religionsgemeinschaften bzw. Bekenntnisgemeinschaften mit dem Begriff Sekte stigmatisiert. Finden Sie, dass dies in der heutigen Zeit einen Platz hat, dass staatliche Instanzen quasi der verlängerte Arm der Kirche sind – in der Hinsicht, dass sie auch Sektenbeauftragungsbehörden und dergleichen haben?

Kastner: Ich kann für mich den Unterschied zwischen dem was die Kirchen als Sekte ansehen und dem was sie selbst machen nicht erkennen. Da besteht für mich kein Unterschied. Ich habe mit beiden nichts zu tun und habe keine Neigung dazu, der einen oder anderen anzugehören – die eine besser als die andere zu finden. Es geht aber ganz sicher nicht, dass die Trennung von Kirche und Staat bis heute nicht erfolgt ist, dass eine bestimmte Glaubensrichtung staatlich gefördert wird. Der Sektenbegriff ist besonders abscheulich, auch aufgrund der Geschichte. Die christlichen Großkirchen haben zum Beispiel eine sogenannte Hexensekte erfunden, haben alle, die ein bisschen abweichend waren oder den Machtgelüsten im Wege standen, als Mitglieder der Hexensekte bezeichnet, und damit waren sie frei zum Ermorden, Foltern und Berauben. Aufgrund dieser Tradition sollte man mit diesem Begriff sehr vorsichtig umgehen. Er hat eine historische Grundlage, die fürchterlich ist und das sollte man nicht verlängern.

Rubenstein: Was kann man machen, wenn man nicht Künstler ist, um in diesem Bereich mehr Gerechtigkeit zu schaffen?

Kastner: Es geht darum, dass wir alle, und das müssten auch die Mitglieder der evangelischen und katholischen Kirche, die Trennung von Kirche und Staat fordern, uns dafür einsetzen und uns aktiv so verhalten. Wenn ich zum Beispiel in einen Gerichtssaal zu einer Gerichtsverhandlung komme, dann erwarte ich, dass das Kreuz dort abgehängt wird. Das muss man machen, das Recht haben wir. Aber die meisten Menschen sind leider zum Gehorsam erzogen worden. Daran haben die Kirchen einen ganz wesentlichen Anteil. Ich denke es gehört ein gewisser ziviler Ungehorsam dazu, in allen Lebensbereichen und in allen Lebenssituationen, um die Freiheit, die Menschen selbstverständlich zusteht, auch wirklich zu realisieren. Es bedarf eines zivilen Ungehorsams und einer gewissen demokratischen Selbstständigkeit um die Rechte, die wir haben, auch wirklich einzufordern. Das kann jeder.

Wolfram P. Kastner, geboren 1947, studierte an der Akademie der Bildenden Künste München und ist deutscher Künstler. Seine Arbeiten und Aktionen greifen meist politische und historische Themen auf, insbesondere die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich. Gleichrangig stehen Malerei, Zeichnung, Fotoserien, Installationen, Objekte und Aktionismus im Mittelpunkt seiner Arbeit. Kastner ist Mitglied im Deutschen Künstlerbund und gehört dem wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung an. Des Weiteren ist Kastner Autor des Buchs „Nicht ich provoziere, sondern die Zustände provozieren mich“. Webseite: www.ikufo.de